Das Auge des Taifuns 

Ich befinde mich imaginär im Weltraum über der Erde und blicke von oben in das Auge des Taifuns. Als einen Taifun bezeichnet man einen Wirbelsturm, der über dem Pazifik tobt. Eine kleine Turbulenz lässt einen gigantischen Tiefdruckwirbel entstehen. Der aus dem warmen Meerwasser aufsteigende Dampf kondensiert und gibt Wärme ab, die die Luft noch rascher aufsteigen lässt und auf der Wasseroberfläche einen Unterdruck erzeugt. Wenn nun die Turbulenzen und die Erdrotation in die gleiche Richtung drehen, wirkt die seitlich einströmende Luft verstärkend und kann zum Aufbau eines mehrere hundert Kilometer breiten Wirbelsturms beitragen. Je geringer der Abstand zum Zentrum, dem Auge des Wirbels wird, desto schneller dreht sich der Wind. Im Auge, einer Zone von etwa 30 Kilometern, ist es nahezu windstill.

Hier setzt dieses Glasfenster „Das Auge des Taifuns“ an. Ein Meteorologe kann das Geheimnis „entweben“, das Phänomen erklären. Ich als Künstler nehme dieses Bild vom Wirbelsturm und assoziiere die Energie des Wassers, die Kraft des Windes mit dem Anfang der heiligen Schrift. „Und die Erde war wüst und leer. Und Gottes Geist schwebte auf dem Wasser.“

Ich habe dieses Thema seit längerer Zeit bearbeitet, beackert und diesen Wirbel dargestellt, weil er diese Energie und diesen Nullpunkt beinhaltet. Mein Bild für den Beginn der Schöpfung, wobei die Annäherung jedes Mal variierte.

2002 entstand so für die ehemalige Synagoge in Kronach ein gläserner Wirbel mit dem Titel „Tohu wa Bohu“, der sich über drei Fenster erstreckte. Der Begriff war dort Arbeitstitel, Grundgedanke, jedoch nicht im Sinne des sprichwörtlichen Gebrauchs, sondern als der Beginn des gemeinsamen Buches der Juden und Christen.

2003 entstand eine gläserne Wand mit dem Auge des Taifun für den Meditationsraum der Arbeitnehmer Bildungs- und Begegnungsstätte Obertrubach. Farbige Gläser in verschiedenen Blautönen sind auf drei Trägerscheiben aufgeklebt und ergeben eine Spiralbewegung, die den Blick bindet und konzentriert. Aus dem Zentrum des Wirbels, aus seiner Ruhe entsteht Bewegung und mit ihr Veränderung. Denn die Veränderung ist das einzig Beständige in der Welt. 

2004 wurde das Glasfenster „Das Auge des Taifuns“ für die Dreieinigkeitskirche der evangelischen Gemeinde in Dettelbach fertig gestellt. Gefustes farbiges Glas, verschleiert mit einem gesandstrahlten Nebel, zeigt ebenfalls das Zentrum eines Wirbelsturms. Die Annäherung ist hier das Zusammenprallen von Gegensätzen, das Wüste und Leere, die Dynamik und die Tiefe, das Nichts und das Alles. die Energie, die Gewalt, die Stille, die Leere; im Wesentlichen das, was sich aus der Leere, dem Anfang entwickelt oder in die Leere zurückfällt.

Aufgabe des Wettbewerbs war es ein Dreieinigkeitsfenster zu schaffen. Der Wirbelsturm, hier das Auge des Taifuns ist nicht unbedingt ein gängiges Bild für diesen Begriff. Man kennt die Darstellung dreiköpfiger Personen, drei Personen, Zeichen, wie das Dreieck, drei sich durchdringende oder drei konzentrische Kreise, die Hand, das Lamm, die Gestalt Gottes, den Gnadenstuhl; Gott Vater hält das Kreuz mit dem Sohn, zwischen beiden schwebt die Taube. Der Text des Dogmas von der Dreieinigkeit stellt sich einer bildlichen Veranschaulichung geradezu entgegen.

„Mit deinem eingeborenen Sohn und dem Heiligen Geiste bist du ein Gott, ein Herr: nicht als wärst du nur eine Person, du bist vielmehr in drei Personen ein Einziger. Und so beten wir beim Lobpreis des wahren und ewigen Gottes in den Personen die Verschiedenheit, in der Natur die Einheit, in der Majestät die Gleichheit an.“

In meinem Erklärungstext zum Entwurf des Fensters war der Wirbelsturm mit diesem Zusammenprall der Gegensätze für mich Sinnbild für Vater, Sohn und Geist.

Das Unvereinbare, das Stille und das Laute, das Gegensätzliche und das Unbegreifliche, das Irrationale der Dreieinigkeit, das Bild vom Wirbelsturm hat es für mich, ein Hauch endet in einem finalen Sturm.

Das Fenster besteht aus zwei Gestaltungsebenen, die miteinander korrespondieren. Die äußere Scheibe wurde mit farbigen Gläsern, mit Glassplittern und Glasmehlen belegt und mit ihnen im Brennofen verschmolzen. Sie bildet die Grundform des Wirbels ab. In die Unterlage des Ofens wurden zuvor Linien eingekerbt, in die das Trägerglas beim Schmelzvorgang einsackte und sie so erhaben abbildet.

Die innere Scheibe wurde partiell gesandstrahlt mit einem Sand unterschiedlicher Körnung, die dem Glas einen kristallinen oder milchigen Charakter verleiht, und „antwortet“ auf die Farben. Sie nimmt die Bewegung auf, überzieht sie mit einem Hauch oder dichtet sie ab. Sie dämpft sie, oder lässt sie frei, Je nach Lichtsituation verdeckt sie Farben und Bewegung oder zeigt sie.

Hier kommt die Sonne ins Spiel. Sie macht aus der flächigen Gestaltung das räumliche Erlebnis. Sie projiziert die farbige Gestaltung auf die mattierte Fläche, vergrößert sie und macht die Binnenstruktur der Gläser erst sichtbar. Es entsteht dadurch der Eindruck, als sei die Scheibe an manchen Stellen dicker als in Wirklichkeit. Das Rot neben dem Blau springt dem Betrachter förmlich entgegen. Im Gegensatz zu einer klassischen Bleiverglasung die einen grafischen Charakter hat und durch die dunklen Konturen auch eine gewisse Schwere, ist der Schaffensprozess bei diesem zusammengeschmolzenen Fenster eher malerischer Natur. Man kann direkt agieren. Man fügt zu und entfernt. Ein Orange besteht nicht aus orangem Glas, sondern aus roten Glassplittern neben gelben. Durch die Sonne beginnen sie zu flirren. Die farbigen Gläser sind nicht plan, sondern durch Anordnung, Doppelung, Übereinanderlagerung, dem Aufstreuen von Glaskröseln, auch der Behandlung der Unterlage wellig wie eine Landschaft, durch das Schmelzen entstehen Luftblasen, die im Glas gefangen bleiben. Bruchkanten werden zu Einkerbungen mit einer weißen Lichtkante. Weiße Glassplitter auf dem blauen Glas sinken beim Schmelzvorgang in das Blau und verdrängen es, es entstehen hellblaue Lichtpunkte. All das erhöht die Brillanz der Gläser und macht sie lebendig und vielfältig. Richtig sichtbar wird dieses Leben erst durch die Sonne, die zusätzlich das Abbild des Wirbels über die Wände des Kirchenraumes wandern lässt und ihn zum Leuchten bringt.



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